Vortragsreihe Beten - Bauen - Grenzen ziehen? - Wintersemester 2014/15

AUSFÜHRLICHES PROGRAMM

 

Mittwoch, 22. Oktober 2014

 

Ramona Jelinek-Menke
(Religionswissenschaft Leipzig)

Christliche Religionen und "der Rand der Gesellschaft"
Ein religionsgeschichtlicher Beitrag zur Inklusions-/Exklusions-Problematik am Beispiel von Institutionen für Menschen mit "geistiger Behinderung"

 Durch Einrichtungen der konfessionellen Sozialfürsorge geschieht auch in säkularen Gesellschaften eine religiöse Formung von sozialen Strukturen: Christliche Wohlfahrtsverbände schaffen nicht nur spezielle Gebäude und Organisationsformen, um die Bedürfnisse von „Menschen am Rand der Gesellschaft“ zu stillen; durch ihre Aktivitäten beeinflussen sie darüber hinaus  die gesellschaftliche Positionierung ihrer Klient/innen. Religiöse Institutionen bestimmen also mit, wer in welchem Verhältnis zum öffentlichen Raum steht.

 Wie diese Prägung der Öffentlichkeit funktioniert, will dieser Beitrag am Beispiel der Entwicklungsgeschichte von protestantischen Einrichtungen für Menschen mit einer sogenannten „geistigen Behinderung“ aufzeigen. Dabei wird geklärt, welche Rollen räumliche und soziale Isolation in der klassischen konfessionellen Wohlfahrtspflege spielten. Obwohl es von Beginn an das Anliegen war, bestimmte Menschen durch die Behandlung in „Heilanstalten“ vom Rand in die Mitte der Gesellschaft – und auch von Religion –  (zurück) zu führen, verfehlte die konfessionelle „Behindertenhilfe“ dieses Ziel. Stattdessen ersetzte sie die öffentliche Inklusion durch die Inklusion in räumlich und sozial separierte Wohlfahrtsorganisationen. So ist es auch als ein Resultat christlichen Engagements zu betrachten, dass Menschen mit einer „geistigen Behinderung“ bis heute im öffentlichen Raum nahezu unsichtbar bleiben. So werden sie von der Öffentlichkeit entweder ignoriert oder mit Sonderorten  in Verbindung gebracht und nach wie vor auch mit den „Menschen am Rand der Gesellschaft“ gleichgesetzt.

Ramona Jelinek-Menke, MA, studierte Religionswissenschaft und Soziologie in Göttingen und Leipzig. Seit Anfang 2014 forscht sie im Rahmen ihrer Doktorarbeit zum Einfluss von protestantischen, katholischen und anthroposophischen Institutionen auf die Wahrnehmung von „geistiger Behinderung“. Weitere Informationen

Mittwoch, den 22. Oktober 2014, 18:30 Uhr, Raum S102, Schilerstraße 6.

 

 

Mittwoch, 05. November 2014


Benedikt Erb und Florian Illerhaus

(Religionswissenschaft Leipzig)

Der Leipziger Moscheestreit

Seit im Oktober 2013 die Pläne eines Moscheeneubaus der Ahmadiyya Muslim  Jamaat (AMJ) im Leipziger Norden (Gohlis) bekannt wurden, entbrannte in  der Leipziger Stadtöffentlichkeit und darüberhinaus eine  konfliktträchtige Kontroverse. Markanter und erschreckender "Höhepunkt"  der Entwicklungen seither war der blutige Schweinekopfanschlag auf das  Baugelände -- nicht zu schweigen von der starken Agitation  rechtsextremer und nationalkonservativer Akteure in der Debatte. Der  Vortrag möchte zunächst aus einer religionswissenschaftlichen Perspektive in einem ersten Teil den Leipziger Moscheestreit  strukturell in Beziehung zu anderen Moscheekonflikten in Deutschland  setzen und typische Konfliktmuster und -interpretationen herausarbeiten.  Im Hauptteil wird dann der Leipziger Moscheestreit chronologisch  dokumentiert.

Benedikt Erb, BA, ist Absolvent der Religionswissenschaft Leipzig, Lehrbeauftragter des Religionswissenschaftlichen Instituts Leipzig und moderiert eine interreligiöse Dialoggruppe im Kontext des Leipziger Moscheebauprojekts.

Florian Illerhaus, BA, studierte Religionswissenschaft und Arabisch-Islamische Kultur an der Universität Münster, derzeit absolviert er den Master der Religionswissenschaft in Leipzig. Er ist Verleger (Bookra-Verlag) und Gründungsmitglied der Initiative "Dialoge für Gohlis".

Beide Redner sind Mitglieder des Netzwerk gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus - NIR Leipzig.

Mittwoch, den 05. November 2014, 18:30 Uhr, Raum S102, Schillerstraße 6.




Dienstag, 18. November 2014

Oliver Decker
(Medizinische Psychologie und Soziologie Leipzig)

Islamfeindlichkeit und Antisemitismus
Konstruktionen des Fremden und Vergegenwärtigung des Eigenen

Sigmund Freud, der Gründervater der Psychoanalyse, beschäftigte sich nur selten mit dem Antisemitismus. Erst in einer seiner letzten Arbeiten „Der Mann Moses und die monotheistischen Religionen“ fand er der Antisemitismus Eingang in seine Arbeit. Auch wenn er feststellte, dass es verschiedene Quellen des Antisemitismus gibt, eines schien ihm sicher: Er ist eine Projektion. Freud meinte damit jenen Abwehrmechanismus, mit dem eigene innerpsychische Nöte und Konflikte auf andere verlagert werden. Zum Objekt des christlichen Hasses werden Juden, weil sie besser wissen, dass der Messias noch nicht gekommen ist.

Heute ist ein Einwand gegen seine Analyse schnell gefunden: Sie stammt aus dem Jahr 1939, ist also relativ alt und bezieht sich zudem auf die Vorzeit der europäischen Gesellschaften. Dieser Einwand ist natürlich richtig. Das Christentum ist gerade in Ostdeutschland ein Randphänomen, die Gesellschaft säkular. Die Soziologie nennt sie mit Emile Durkheim sogar anomisch, weil sie ohne religiöse Trostmittel und ohne Aussicht auf ein erlösendes Jenseits auszukommen scheint. So muss man feststellen, dass Freuds Analyse veraltet ist. Eine weitere Beschäftigung mit ihr scheint nicht mehr zu lohnen, weil Auskunft über Vorurteil und Ressentiment in der Gegenwart von ihr nicht mehr zu erwarten ist.

Allerdings: der infrage stehende Antisemitismus ist viel älter und hat doch eine erstaunliche Präsenz in der Gegenwartsgesellschaft; die Islamfeindschaft fügt eine neue Dynamik hinzu. Es stellt sich die dringende Frage, ob Freuds Verständnis nicht auch heute noch ein Wahrheitsmoment hat. Sicher ist, dass Vorurteile viel mehr über denjenigen Aussagen, der sie hat, als über die Objekte seines Hasses. So ist hier vielleicht doch noch etwas zu holen: Welche Auskunft können wir über eine Gesellschaft erhalten, die einerseits säkular zu sein scheint, deren Gesellschaftsmitglieder aber andererseits ihre Ressentiments gegen die Angehörigen von Religionsgemeinschaften richten?

PD Dr. Oliver Decker, Jahrgang 1968, nach dem Studium der Psychologie, Soziologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin seit 1997 wissenschaftlicher Angestellter an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, 2003 Promotion zum Doktor der Philosophie, 2010 wurde er zum Privatdozenten am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover ernannt. Zusammen mit Elmar Brähler  leitet er seit 2002 die „Mitte“-Studien der Universität Leipzig zum Rechtsextremismus in Deutschland. Von 2010 bis 2013 war er Vertretungsprofessor für Sozial- und Organisationspsychologie an der Universität Siegen, 2015 wird als Visiting Professor am Department for Critical Theory and the Arts an der New Yorker School of Visual Arts lehren. Weitere Informationen

Dienstag, den 18. November 2014, 18:30 Uhr, Raum S102, Schillerstraße 6.




Mittwoch, 03. Dezember 2014 (Dies academicus)

 

Uta Karstein
(Soziologie Dresden)

Der Kampf um Relevanz und Deutungshoheit
Kirchenbaukonflikte im 19. und 20. Jahrhundert

Die Auseinandersetzung der christlichen Volkskirchen mit dem Prozess der Säkularisierung in all seinen Facetten spielte sich im 19 und 20. Jahrhundert immer auch im Medium Architektur ab. Angesichts eines sich rasant wandelnden urbanen Umfeldes ging es vor allem darum, als Religion verortbar zu bleiben und gesellschaftliche Relevanz zu markieren. Dabei waren Beschaffenheit, Aussehen und Ausstattung dieser Neubauten jedoch keineswegs dem Zufall überlassen, sondern Gegenstand vielfältiger Aushandlungsprozesse. Eine Kirche war daher auch nicht nur Ausdruck und Ergebnis eines mehr oder weniger genialen künstlerischen Architektenentwurfs. Vielmehr nahmen auch Gemeinden, kirchliche und städtische Behörden, sowie zahlreiche Vereine mit ihren Vorstellungen und Wünschen Einfluss auf die bauliche Gestalt. Das hohe, mitunter kämpferische Engagement der involvierten Akteure rührte nicht zuletzt aus der medialen Dimension und Qualität der Architektur, die den Zeitgenossen sehr wohl bewusst war: man erwartete vom Kirchenbau, dass er die Einstellung der Menschen und ihre (nicht nur) religiöse Praxis formt, modelliert, nötigenfalls korrigiert. Anhand historischer Beispiele aus Leipzig (Peterskirche) und Berlin (Heilandskirche) sowie aktueller Debatten (Paulinum) sollen ein paar der maßgeblichen Konflikte und die sie tragenden Akteurskonstellationen nachgezeichnet und einander gegenüber gestellt werden.

Dr. Uta Karstein, studierte Soziologie, Kulturwissenschaften und Psychologie in Berlin. 2011 promovierte sie an der Universität Leipzig über das Thema "Konflikt um die symbolische Ordnung. Genese, Struktur und Eigensinn des religiös-weltanschaulichen Feldes in der DDR". Von 2011 bis 2013 war sie Mitarbeiterin im Projekt "Sakralbauten in der Moderne. Gemeindlicher Kirchenbau in der Zeit beschleunigter Urbanisierung als 'eigensinniger' Prozess (ca. 1880–1930)" an der Universität Leipzig. Seit 2014 ist sie Habilitationsstipendiatin der TU Dresden. Der Arbeitstitel ihrer Habilitationsschrift lautet  "Umkämpfte Kunstautonomie. Ein Beitrag zur Konfliktgeschichte gesellschaftlicher Differenzierungs- und Säkularisierungsprozesse im 19. Jahrhundert am Beispiel christlicher Kunstvereine".

Mittwoch, den 03. Dezember 2014, 18:30 Uhr, Raum S102, Schillerstraße 6.




Donnerstag, 22. Januar 2015

 

Rafael Walthert
(Religionswissenschaft Zürich)

Visibilität und Verfremdung
Die Schweizer Minarettdebatte

Die Diskussionen um religiöse Vielfalt in der Schweiz hatten ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Annahme eines landesweiten Minarettverbots im  Rahmen einer Volksabstimmung im Jahre 2009. Diese Initiative hatte ihre Vorläufer in Auseinandersetzungen um den Bau von Minaretten in verschiedenen Vorstadtgemeinden, in denen die Minarettgegner den Minarettbau nicht verhindern konnten, weshalb sich ihre Opposition von der lokalen auf die nationale Ebene verlagerte, auf der sie letztlich erfolgreich war. Aus einem räumlich spezifischen Baukonflikt wurde damit eine Debatte über Kategorien wie  “Islamisierung” und “christlicher Kulturkreis”. Im Vortrag stehen neben einer kurzen Konfliktrekonstruktion folgende Fragen im Zentrum: Welche Rolle spielen religiöse Deutungsmuster und Akteure bei diesem Vorgang der Generalisierung? Welche Strukturen der Mobilisierung finden sich auf den beiden Konfliktseiten und inwiefern sind diese räumlich zu verorten? Welche Schlüsse erlauben die  Konflikte hinsichtlich der Rolle religiöser Symboliken bei Grenzziehungen im öffentlichen Raum?

Prof. Dr. Rafael Walthert, Assistenzprofessor für Religionswissenschaft mit systematisch-theoretischem Schwerpunkt an der Universität Zürich, Schweiz. Er studierte Soziologie, Religionswissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich und promovierte 2009 zum Thema "Religion, Tradition und Konflikt bei den Parsi Zoroastriern in Indien". Im Wintersemester 2012/2013 vertrat er die Juniorprofessur für Religionswissenschaft in Leipzig.
Derzeit arbeitet er an seinem Buchprojekt "Religiöse Rituale und soziale Ordnung". Weitere Informationen

Donnerstag, den 22. Januar 2015, 15:15 Uhr, Raum S102, Schillerstraße 6.


Mittwoch, 04. Februar 2015

 

Falk Haberkorn
(Leipzig/Berlin)

Die neue Propsteikirche in Leipzig

Mittwoch, den 04. Feburar, 18:30 Uhr, Raum S102, Schillerstraße 6.

 

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Kontakt

 

Dr. Katharina Neef
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c/o Religionswissenschaftliches Institut
Universität Leipzig
Schillerstraße 6
04109 Leipzig

Tel.: 0341 9737160
Email: releff@uni-leipzig.de
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