Die Realität
Auf einer Studienreise ist man nicht im Urlaub. Schade eigentlich! Das Wetter war so herrlich, aber wir hatten uns in einem kleinen Seminarraum zum Sprachunterricht einzutreffen. Zusammen mit Studierenden aus anderen Nationen, überwiegend aus Russland, Polen und Ungarn, versuchten wir uns auf Tschechisch zu verständigen. Angefangen bei den Monatsbezeichnungen und dem Beschreiben typischer Tätigkeiten während dieser Monate, fanden wir uns alsbald dabei wieder, Berufsbezeichnungen mit geeigneten Verben zu verknüpfen.
Das Niveau des Kurse war sehr gemischt, aber die sehr kompetente Lehrerin schaffte es trotzdem jedem verständlich zu machen, was gerade vor sich geht. Dabei gebrauchte sie fast ausschließlich die tschechische Sprache. Trotzdem handelte es sich nicht um eine Frontalunterrichtsstunde.
Geplant war auch noch eine zweite Unterrichtsstunde zusammen mit den anderen Studierenden. Leider war dafür kein geeignet großer Raum vorhanden. So nutzten wir die freie Zeit erstmal zum sonnen.
Wie im Märchen
An dem sonnigen Mittwochnachmittag wartete ein kleiner gelber Minibus auf uns, um die märchenhafte Umgebung von Pardubice zu erkunden. Unsere Reise führte uns zu einem der wenigen Berge der Region: Kunětická Hora. Bei strahlend blauem Himmel legten wir die 80 steilen Höhenmeter zurück. Ganz oben angekommen, genossen wir den Blick über die immergrüne, von Dunst behangene Ebene.
... knusper, knusper, knäuschen
Nach erstem Eintauchen in die fantastische Märchenwelt, holte uns der kleine gelbe Minibus, um uns zu dem unweit von der Burg gelegenen Märchen- und Pfefferkuchenmuseum zu kutschieren.
Daraufhin sollte sich die Reise durch das Land der Fabeln und Geschichten fortsetzen.
Das Pfefferkuchenhaus, die Perníková chaloupka, ist ein ehemaliges, 1882 erbautes Jagdschlösschen. Es lockt heutzutage zahlreiche Neugierige an, da es in der ganzen Republik kein weiteres seiner Art zu finden gibt. Somit trägt es eine überaus bedeutende Verantwortung, als Hüter des Pfefferkuchengeheimnisses sowie Verwalter des Pfefferkuchenlandes.
Auf zum Abenteuer! Ein vergnügter älterer Herr empfing uns vor dem Hause mit ersten Instruktionen: unsere Fingerchen in das Hänselfingermessgerät zu stecken und zu sehen, ob man sich bereits für den Pfefferkuchenofen eigne. Zu unserem Glück fielen alle durch und wir konnten uns zur nächsten Station begeben: der Pfefferkuchenausstellung.
Pfefferkuchen soweit das Auge reicht: große, kleine, farbenfrohe, eckige, runde, blumige, geschwungen Pfefferkuchen. Entzückt und überwältigt zugleich sogen wir die bunte Pfefferkuchenwelt in uns auf und ließen uns von den Ausführungen des Hausherren mitreißen.
... spannend
Glücklicherweise nahmen wir die Ratschläge ernst und die Hexe öffnete uns die Tür. Der (verblüffend moderne) Ofen war schon angefeuert. Der Teig aus Honig, Mehl und Pfeffer war vorbereitet. Alle Utensilien (eigenhändig geschnitzte Ausstechformen, Bleche, Tennisbälle...) lagen bereit. Es war mucksmäuschenstill im Hexenhaus. Die historische Pfefferkuchenbackstunde konnte beginnen. Der recht kompliziert wirkende Vorgang stellte sich als überschaubar heraus: den Teig mithilfe eines Tennisballs in die Form drücken, mit einem Messer ausschneiden, auf das mit Bienenwachs eingestrichenen Blech legen und ab in den Backofen!
Anschließend durften wir im Pfefferkuchenladen die zahlreichen dekorierten – leider nicht essbaren – Pfefferkuchen bestaunen. Wir stellten Folgendes fest: ein Pfefferkuchenhaus ist alles andere als gefährlich! Damit nahm unser Märchen im Pfefferkuchenland ein....
... angenehmes Ende...
... und der kleine gelbe Minibus beförderte uns in die Wirklichkeit zurück.
In der Burg
Welch magische Atmosphäre: Ein verwunschener Brunnen, der Glück bringt, wenn man, ihm den Rücken zugewandt, einen Taler hineinwirft. Eine mittelalterliche Burg, die auf des Berges Gipfel thront. Pechschwarze Raben, die das alte Gemäuer geheimnisvoll umkreisen. Ein gewaltiges Eingangsportal mit eisernem Griff, hinter dem nach wiederholtem Rütteln bedrohliches Hundegebell laut wird.
Begegnung mit der Hexe
So erzählte uns der gute Mann zum Beispiel von den verschiedensten Märchenvarianten des Hänsel und Gretel. Welch Überraschung für uns, dass das Pfefferkuchenhaus in jeder Kultur anders aussieht...
Als nächstes erfuhren wir eine bahnbrechende Neuheit über den Umgang mit der bösen Hexe. In Wirklichkeit ist die böse, alte Frau nämlich eine hübsche junge Dame, die man nur angemessen behandeln sollte. Das heißt: zuerst anklopfen, dann grüßen und sich am Ende bedanken!
Diese Hinweise sollten wir wenig später beherzigen, als uns nach einer kurzen Wanderung im fiktiven Zauberwald das Tor zum Hexenhaus bevorstand und wir um Einlass bitten mussten...